Einleitung
Was folgt, sind meine Notizen zu Nach der Flut das Feuer (engl.: The Fire Next Time) von James Baldwin. Der dtv hatte das E-Book kostenlos zum Download angeboten (leider gibt es das Angebot nicht mehr). James Baldwin ist ein Autor, der mich immer sehr beeindruckt, wenn ich mit ihm in Kontakt komme. Bisher kenne ich I am Not Your Negro in der Film-Version von Raoul Peck und If Beale Street Could Talk in der Film-Version von Berry Jenkins. Jetzt habe ich die Gelegenheit genutzt, tatsächlich mal seine Worte direkt zu lesen (bzw. in der Übersetzung von Miriam Mandelkow).
Nach der Flute das Feuer besteht aus zwei Teilen. Einem Brief an seinen Neffen (der auch James heißt, sogar nach ihm benannt wurde) und ein Essay – einen „Brief aus einer Landschaft meines Geistes„1S. 24 wie Baldwin es selbst beschreibt.
Mein Kerker bebte – Brief an meinen Neffen zum hundertsten Jahrestag der Sklavenbefreiung
Im Brief an seinen Neffen James beschreibt Baldwin, wie die weißen Amerikaner das Land so designt haben, dass der schwarze Amerikaner in ihm zugrunde gehen muss.2S. 17 Nicht nur durch die Ghettoisierung in den Großstädten, sondern auch durch das Narrativ, was der Weiße über den Schwarzen erzählt. Der Vater seines Neffen sei an diesem Narrativ schon gestorben.3S. 17 Für Bladwin geschieht das aber nicht aus purer Bosheit, sondern weil der Weiße vom Schwarzen in gewisser Weise abhängig ist. Das Narrativ über den schwarzen US-Amerikaner sei für die weißen ein „Fixstern […] Jetzt, da er sich rührt, werden Himmel und Erde in ihren Grundfesten erschüttert.“4S.21 Der Neffe könne diesem verunsicherten Weißen nur mit Aktzeptanz und Liebe begegnen, solange dieser noch in der Geschichte und dem alten Narrativ verfangen sei.5S. 20
Hier zeigt sich meiner Meinung nach schon das zentrale Motiv des Buches: Die Beendigung des Rassismus ist nicht nur essenziell für die Zukunft der Schwarzen, sondern auch für die der Weißen. Und es ist die Aufgabe der Weißen in diesem Punkt auf das gleiche historische und intellektuelle Level wie die Schwarzen zu kommen. Die Gemeinschaft der Schwarzen kann und soll der Gemeinschaft der Weißen zwar mit Liebe und Akzeptanz entgegenkommen, aber nur die Weißen selbst können sich aus ihrem historischen Anachronismus befreien. Diese Idee baut James Baldwin im zweiten, längeren Teil des Buches aus.
Vor dem Kreuz – Brief aus einer Landschaft meines Geistes
Den „Brief aus einer Landschaft meines Geistes„6S. 24 beginnt er mit seiner eigenen Biografie und seinem Verhältnis zur Religion. Er wird in jungen Jahren Prediger in seiner Gemeinde. Aber nicht aus tiefer Religiosität heraus, sondern weil die Alternativen zu Glauben nur Kriminalität, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit gewesen wären, wie er bei seinen Peers mitansehen musste. Aus seiner eigenen Geschichte, wie er zum christlichen Glauben kam, entwickelt er seine Gedanken darüber, wie das Christentum den Schwarzen gegenüber steht. „Gott – und das spürte ich sogar damals, vor so langer Zeit, widerwillig auf diesem fürchterlichen Boden – ist weiß.„7S. 33 Er trennt klar zwischen dem Schutz und Ansehen, dem ihm seine eigene Kirchengemeinde geboten hat und der christlichen Kirche an sich, deren Moral und Werte dazu genutzt werden, Schwarze zu unterdrücken. „Als der Weiße nach Afrika kam, hatte der Weiße die Bibel und der Afrikaner das Land, jetzt aber wird der Weiße widerwillig und gewaltsam vom Land getrennt, während der Afrikaner noch immer versucht, die Bibel zu verdauen oder auszukotzen.“8S. 42 Die Idee, dass das organisierte Christentum inherent die Unterdrückung der Schwarzen fördert ist wichtig für das Verständnis warum die USA, ein Staat der von christlichen Missionaren gegründet wurde, inherent rassistisch ist. „Ja, es bewirkt etwas – etwas Unaussprechliches –, in einem weißen Land geboren zu sein, in einem angloteutonischen, sexfeindlichen Land als Schwarzer geboren zu sein. Sehr bald und ohne es zu wissen gibt man alle Hoffnung auf Gemeinschaft auf.„9S. 32
Im Vergleich zum Christentum ist für ihn der Islam eine Religion für Schwarze und er hat Verständnis dafür, warum sich viele seiner Peers dieser Religion zuwenden. Die Nation of Islam lud ihn selbst zu einem Essen ein, bei dem sie versuchten, ihn von ihrer Sache zu überzeugen. Doch obwohl er Verständnis für die Beweggründe und Ziele der Bewegung hat, ist er strikt gegen die Idee der Nation of Islam einen eigenen Staat für die afroamerikanische Bevölkerung zu Gründen. Er lehnt jede Trennung der sog. „Rassen“ ab: „Die Verherrlichung einer »Rasse« und folglich die Herabsetzung einer anderen – oder anderer – war schon immer ein Rezept für Mord und wird es immer sein.“10S. 68 Baldwin will die endgültige Befreiung der Schwarzen in den USA, aber nicht so. Denn – und hier kommt die Kernidee des Textes – „wer andere erniedrigt, erniedrigt sich selbst. Das ist keine mystische, sondern eine überaus realistische Feststellung, deren Beweis wir in den Augen jedes beliebigen Sheriffs von Alabama finden – und ich möchte Schwarze niemals in einem so erbärmlichen Zustand sehen.„11S. 68
James Baldwin will die Unterscheidung von Menschen nach Hautfarbe überwinden. Dies sieht er aber nicht als Aufgabe der Schwarzen, sondern als die der Weißen. Die Weißen halten sich selbst zurück in dem sie in diesen Denkmustern verhaftet sind. Nur wenn sie sich davon lösen können, können sie ebenbürtig mit den Schwarzen eine gleiche Gesellschaft ohne Hautfarben-Unterscheidung bilden. „Der Preis für die Befreiung der Weißen ist die Befreiung der Schwarzen – die völlige Befreiung, in den Großstädten, in den Kleinstädten, vor dem Gesetz und im Kopf.„12S. 78 Es ist also nicht damit getan, dass die Weißen einfach sagen, dass sie persönlich nicht mehr nach Hautfarbe unterscheiden würden (was eine beliebte Schutzbehauptung ist). Die politische Signifikanz der Hautfarbe muss so lange anerkannt werden, wie sie Realität in Gesellschaft, Justiz und Gesetzgebung ist.13S. 82
Und dieser Wandel muss so schnell wie möglich passieren, denn noch sind die meisten Schwarzen auf Versöhnung aus und nicht auf Rache. Aber wie Gott Noah in der Bibel sagt: „No more water, the fire next time!“14S. 84
Schlussbemerkung
Für mich ist James Baldwin einer der empathischten Autoren überhaupt. Er versucht jeden Standpunkt zu verstehen, ohne aber jemals seine eigene Sichtweise außer Acht zu lassen. Er versucht zu vermitteln – nicht nur zwischen weißen und schwarzen Menschen, sondern vor allem innerhalb der Gemeinschaft der Schwarzen, zwischen denen, die militanten Widerstand fordern und denen, die eine kooperative Lösung suchen.
Als weißer Leser nehme ich vor allem die Botschaft mit, dass die Lösung des Rassismus nicht eine Aufgabe der Schwarzen ist, weil sie ihn nicht (allein) lösen können. Erst wenn wir Weiße verstehen, dass wir in einer Gesellschaft voller struktureller Rassismen leben, sie anerkennen und aktiv ihnen entgegenwirken, können wir eines Tages wahrhaftig behaupten, dass wir keine Hautfarbe mehr sehen.